Gewaltfreie Weihnachtskommunikation in Corona-Zeiten

Antje habe ich kennenlernen dürfen in der ersten Lock Down Phase über einen sehr schönen Austausch in der virtuellen Welt. Der virtuelle Raum wurde über einige Wochen von der wunderbaren Christine Neumann von www.visionsession.de ermöglicht. Ich freue mich sehr über unsere Verbindung und danke liebe Antje für Deinen wertvollen Blogbeitrag.

Viel Freude beim Lesen.

Weihnachten ist uns aus wohligen Erinnerungen, aus Büchern und Erzählungen bekannt als Zeit der Besinnlichkeit, als Fest der Liebe, das in Harmonie im Kreis der Liebsten zelebriert wird. Dass es so einfach leider nicht immer ist, haben viele von uns bereits mehrfach leidvoll erfahren. In der Realität sieht das dann eher so aus, dass es jedes Jahr etliche Streitpunkte gibt im Kreis der Liebsten und Aspekte neu verhandelt werden, von denen man annahm, sie im letzten oder vorletzten Jahr bereits mühevoll eindeutig mit den Liebsten geklärt zu haben:

  • Nein, mir ist nicht (mehr) wichtig, dass wir den Baum gemeinsam schmücken. Wir reisen lieber später an.

  • Wir wollten uns doch nichts schenken.

  • Ich möchte weder Kevin allein zu Haus“ noch Der kleine Lord im Fernsehen schauen.

  • Plätzchen, Zimtsterne und Lebkuchenhäuser können wir doch einfach kaufen in diesem Jahr.

  • Ja, ich wünsche mir noch immer einen Adventskalender von Euch und dabei ist es mir egal, dass ich inzwischen eigene Kinder habe.

  • Genießt Ihr mal den Festtagsbraten, ich bin doch seit Jahren Vegetarierin, mir reichen die Klöße.

In der Regel sind es jährlich die gleichen Themen, die zu Unstimmigkeiten führen. Dieses Jahr kommt eine Besonderheit hinzu: die Infektionskrankheit COVID-19. Sie hat unser aller Jahr 2020 massiv mitbestimmt und obwohl viele von uns vergleichbaren Rahmenbedingungen ausgesetzt waren, sorgt die aktuelle Lage dafür, dass ganz unterschiedliche Themen in uns lebendig sein:

  • drohende oder bereits real vorhandene Existenzsorgen,

  • die Angst, selbst zu erkranken oder Erkrankungen im Umfeld mitzuerleben oder auch die Angst, Menschen mit diesem (mitunter) tödlichen Virus (ggf. auch unwissender Weise) zu infizieren

  • Erholung und Ruhe, da im Home-Office die eigene Person und/oder Familie viel mehr Raum bekam als im üblichen Büro-Alltag mit den Kollegen

  • Empörung über Maskenpflicht, Coronaleugner, das Gesundheitssystem oder Coronahilfen

  • Dankbarkeit, dass man selbst bis dato vielleicht kaum vom Thema berührt wurde und Zuversicht, dass mit dem Jahreswechsel und ggf. mit dem Impfstoff eine neues Kapitel aufgeschlagen werden kann

Die Liste könnte beliebig lang vorgesetzt werden. Fakt ist: wir treffen uns (analog oder digital) zu Weihnachten wieder mit unseren Liebsten und zu den üblichen Streitthemen gesellen sich ganz andere Befindlichkeiten als üblich. Bereits die Frage ob wir uns überhaupt treffen und in welcher Konstellation birgt erheblichen Sprengstoff. Und wo der eine frisch aufgetankt mit neuer Energie aus dem Home-Office kommt, da zehren beim nächsten die letzten Monate so unsagbar an den Nerven, dass Partner und Kinder bereits täglich in die Schusslinie geraten.

An dieser Stelle habe ich gute und schlechte Nachrichten: die Gewaltfreie Kommunikation (abgekürzt „GFK“) nach Marshall B. Rosenberg kann hier sehr dienlich sein und sie ist sehr einfach zu erlernen. Sie hilft, uns besser mit uns selbst zu verbinden und ebnet auf diese Weise auch den Weg zu den Gefühlen und Bedürfnissen unseres Gegenübers. Wer mit der Haltung und in den 4 Schritten der Gewaltfreien Kommunikation kommuniziert, geht Kommunikationshindernissen aus dem Weg, schüttet kein Öl ins Feuer, bleibt bei sich und kann innere wie äußere Konflikte befrieden. Wo ist der Haken? Die Methode kognitiv zu verstehen ist zwar einfach, in die Haltung der GFK hineinzuwachsen dauert jedoch sehr lange. Es handelt sich letztlich um einen fortwährenden Persönlichkeitsentwicklungsprozess. Und gerade in der Kommunikation mit den Menschen, die uns besonders nahe stehen, lauern unendlich viele Tretmienen, die uns das Leben schwer machen (können) und zwar aufgrund unserer Erziehung, unserer Glaubenssätze, unserer kulturellen Prägungen, unserer Sprachkompetenz oder auch unserer Schuldannahmen.

Dennoch kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass sich jeder Versuch lohnt, gewaltfrei im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation mit sich und anderen umzugehen. Gewaltfrei bedeutet nach Marshall B. Rosenberg, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten erfüllt sind. Das Ziel ist dabei nicht, das Verhalten anderer Menschen zu ändern sondern im Fokus steht die Beziehung, die auf Ehrlichkeit und Empathie beruht. Dabei beruht das Konzept der GFK auf Inhalten, die bereits seit Jahrhunderten bekannt sind. Der Verdienst von Marshall B. Rosenberg ist allerdings, dass er die verschiedenen Schritte geschärft und zusammengeführt hat und dass er dieses Werkzeug ganz aktiv eingesetzt und publik gemacht hat. Heute wird die GFK weltweit nicht nur im privaten Kontext eingesetzt sondern auch im Business sowie in Politik und Gesellschaft.

Was also sind genau diese 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation?

  1. Zunächst geht es darum, zu beobachten ohne zu bewerten um eine gemeinsame Realität zwischen den Beteiligten zu erschaffen. Dabei sind Vergleich, Verallgemeinerungen genauso hinderlich wie Vorwürfe oder Beschimpfungen.

  2. Daraufhin benennen wir in der Gewaltfreien Kommunikation unsere (echten) Gefühle. Sie dienen uns als Signale für erfüllte/unerfüllte Bedürfnisse. Wir übernehmen Verantwortung für unsere Gefühle. Das Verhalten anderer Menschen ist stets nur Auslöser von Gefühlen und nie die Ursache.

  3. Schließlich teilen wir unserem Gegenüber auch mit, um welche Bedürfnisse es denn konkret geht d.h. Was brauche ich? Was liegt mir am Herzen? Worauf lege ich wert? Diese Bedürfnisse sind universell für alle Menschen weltweit, sie sind abstrakt und sie sind ganz losgelöst von der Strategie wie sie möglicherweise erfüllt werden können.

  4. Im letzten Schritt der GFK geht es dann darum eine Bitte zu formulieren wie ich mir selbst oder mein Gegenüber das Bedürfnis erfüllen könnte. In der GFK betrachten wir Bitten als ein Geschenk, das Leben eines anderen Menschen zu verschönern. Insofern ist es auch ganz legitim, eine Bitte zu verneinen. Wir unterscheiden ganz klar zwischen einer Bitte und einer Forderung.

Das ganze könnte als Gewaltfreie Weihnachtskommunikation dann z.B. so klingen: „Liebe Mutti, seit vielen Jahren gehört unser Termin zum Plätzchen backen nun zum festen Adventsritual und auch, dass wir unsere Spezial-Plätzchen dann gemeinsam zu Weihnachten vernaschen. Ich bin traurig, dass wir dieses Jahr keinen geeigneten Termin gefunden haben und noch immer fühle ich mich so ausgelaugt von den vielen äußeren Einflüssen der letzten Zeit. Mir ist wichtig, dass wir nun zu Weihnachten Erholung finden und unsere gemeinsame Zeit entspannt genießen. Aus diesem Grund möchte ich Plätzchen, Zimtsterne und Lebkuchen gern einfach kaufen in diesem Jahr. Wie geht es Dir damit?“

Auf den ersten Blick klingt das vielleicht etwas umständlich und für viele Menschen ist es eine ganz neue Art, in Verbindung zu treten. Aus Erfahrung kann ich berichten: es ist eine ganz wunderbare Variante, um bei sich selbst zu bleiben und dennoch in Kontakt zu treten. Sei es bei angenehmen oder weniger angenehmen Themen. Ein schöner und sehr dienlicher Nebeneffekt: das Gegenüber muss die GFK weder kennen noch anwenden, damit Resultate spürbar und erlebbar werden.

Und weil dieses turbulente Jahr 2020 vielleicht auch eine gute Möglichkeit bietet, um ganz explizit und vollständig Danke zu sagen, möchte ich hier auch noch ergänzen, dass die 4 Schritte auch hervorragend genutzt werden können, um seinen Dank auszudrücken. Zu diesem Zweck wird statt der Bitte einfach ein Dank formuliert. Schritt 1 bis 3 bleiben identisch.

Das könnte dann ungefähr so klingen: „Liebe Oma, nun begleitet uns das Thema Corona schon so viele Monate und ich erlebe aus der Distanz wie vorbildlich Du Dich verhältst, wie Du Deine Kontakte einschränkst, dass Du stets Deine Masken trägst und dass Du Dich regelmäßig telefonisch bei mir meldest, um mir zu sagen, dass es Dir gut geht. Ich wollte Dir gern mitteilen wie berührt ich davon bin und wie dankbar. Ich bin erleichtert und zuversichtlich weil mir Deine Sicherheit und Deine Gesundheit so wichtig sind. Hab herzlichen Dank dafür.“

Fragen, Anregungen, Kommentare zu diesem Beitrag, zur GFK oder zu meiner Person? Dann gern Kontakt aufnehmen unter antje.reichert@quasebarth.de. Ich freue mich wenn wir ins Gespräch kommen. Bis dahin eine gute Zeit! Antje Reichert